Wir haben es geschafft, wir sind in La Paz, die Hauptstadt die keine Hauptstadt ist, sondern „nur“ Regierungssitz und sich seit Jahren mit der echten Hauptstadt Sucre zerstritten hat. Die Stadt ist riesig und wird im Kern eingekesselt von hohen Bergen mit Schneegipfeln über 6000m. Der Nachtbus von Toursimo Osman bringt uns sicher ans Ziel, zum Glück auf einer (vor 2 Jahren) geteerten Straße. Vom Bus Terminal nehmen wir ein Radio-Taxi, und uns wird im Hostel sogar aufgemacht :-). Da wir 5 Uhr haben, legen wir uns auf ein Sofa und versuchen zu schlafen.

Und dann bekommen wir erst mal einen kleinen „Kulturschock“, was mit unserem Hostel Rendevousz zusammenhängt. Nach 3 Tagen im Niemandsland um Uyuni mit „interessanten“ Schlafplätzen und Toiletten, bekommen wir ein großes Zimmer, schön eingerichtet mit Heizung (!) und Fernsehen, außerdem erwartet uns ein Frühstücksbuffet, das selbst in Deutschland der Hammer wäre. Es ist zwar über unserem Budget (35€ pro Nacht), aber nach den anstrengenden Tagen wollen wir uns das gönnen.

Aussicht von der Dachterrasse:

Stadtrundgang mit amüsanten Informationen

Nach dem üppigen Frühstück machen wir erstmal einen Stadtrundgang mit Red Cap Walking Tours, die uns empfohlen werden, interessant, amüsant und in perfektem Englisch. Wir lernen, …

  • …dass das Gefängnis der Stadt San Pedro von den Insassen weitestgehend selbst gemanagt wird, es Zellen gibt, die von 15 Bolivianos (2€) im Monat bis zu mehreren Tausend Bolivianos reichen (inkl. Whirlpool), dass viele Insassen, sich das Geld zum Leben durch die Herstellung von Kokain verdienen, dass das Gefängnis für 300 Leute gebaut wurde, heute aber 2000 Leute dort leben… man kann es auch besuchen, das ist aber eigentlich nicht erlaubt und wird nicht empfohlen. Für weitere Infos habe ich diesen Artikel gefunden.

  • …dass Streiks in Bolivien sehr beliebt sind, und kaum eine Woche ohne einen Streik vergeht, außer am Wochenende, da hat man ja frei 🙂 Es gab z.B. große Streiks, als die Simpsons abgesetzt werden sollten, heute laufen sie 3x am Tag; oder ein Streik als ein beliebter „fried chicken“ Laden zu machen sollte, da verstehen die Bolivianer keinen Spaß!
  • …dass die Hüte der Cholitas, die ja modisch fragwürdig sind, da sie ja keinem passen, auf dem Mist der Italiener gewachsen sind. Um 1920 exportierte ein italienischer Huthersteller versehentlich eine große Lieferung von Herrenhüten im Melonenstil nach Bolivien. Allerdings haben die Bolivianer viel größere Köpfe als die Italiener (sie nennen sich selber auch Kartoffelköpfe, und ich dachte wir Deutschen wären das). Den bolivianischen Männern passte der Hut also nicht, keiner wollte den haben, also wurde durch viel Marketing der Hut den Frauen als besonderes Mode-Accessoire und neueste italienische Frauenmode angepriesen. Verrückte Geschichte.

  • …die Cholitas nicht nur Gemüse und Obst verkaufen, sondern auch als Psychologen dienen, und dass jeder Bolivianer sich im Leben nur eine aussucht, bei der er/sie sein ganzes Leben einkaufen (und therapieren lassen) muss.
  • …dass auch heute noch ein Lamafötus unter jedes neue Haus in einer großen Zeremonie vergraben wird. Früher bei großen Häusern wohl auch Menschen (meistens obdachlose Alkoholiker), gruselige Story. Außerdem betrinken sich Häuslebauer, Architekten und Bauarbeiter erst mal hemmungslos eine Woche bevor es mit dem Bau los geht.

Wir besuchen außerdem den Hexenmarkt Mercado de Las Brujas, auf dem man interessante Mischungen gegen/für alles kaufen kann und viele weitere bizarre Sachen:

Unterwegs mit der Seilbahn mit umwerfenden Aussichten

Der Verkehr in La Paz ist anstrengend, es gibt keine Fußgängerampeln, man muss sich an den Autoampeln orientieren, außerdem halten die Autos in keinem Falle für Fußgänger an, man muss echt aufpassen. Und natürlich muss man oft die Luft anhalten, gerade bei den Bussen, auch wenn sie ganz nett aussehen.

Eine gute Alternative bietet die Seilbahn, daher fahren wir am 2. Tag mit dem Mi Teleferico, und zwar mit der gelben Linie Richtung El Alto. Das liegt weit oben und ist für sich eine eigene Stadt mit ca. 1 Mio. Einwohnern. Da dort die sehr arme Bevölkerung lebt, wird uns geraten sich dort nur kurz aufzuhalten und sich auch nicht weit weg vom Seilbahn-Terminal zu bewegen. Dem folgen wir und genießen eine umwerfende Aussicht auf die Stadt:

Das Seilbahnnetz ist eine kluge Maßnahme, um dem Verkehr Herr zu werden, vor allem da aufgrund der ungünstigen topographischen Lage es nur wenige breite Hauptstraßen zwischen den beiden Städten La Paz und El Alto gibt, was oftmals Staus und lange Fahrtzeiten zur Folge hat. Gebaut wird das Ganze von einem österreichischen Unternehmen. Die ersten 3 Linien wurden 2014 eröffnet, eine weitere im März 2017 und es folgen noch 5 weitere bis 2019. Damit entsteht ein fast durchgängiges Seilbahnnetz von rund 30 Kilometern Länge und wird nach seiner Fertigstellung das größte urbane Seilbahnnetz der Welt sein.

Von El Alto fahren wir mit der gelben Seilbahn bis zur Endstation, steigen dort in die Grüne um, um in die schmucke Zona Sur zu gelangen. Sehr kontrastreiche Stadt, innerhalb von 20 Minuten fährt man vom ärmsten Viertel, bei denen man die Häuser kaum so nennen kann, zu einem Viertel, in denen Villen stehen, es europäische Geschäfte gibt, und sogar Fußgängerampeln. Hier wohnen die Reichen der Stadt sowie die expats.

Ungeplanter längerer Aufenthalt

Leider leider geht es Tina am 3. Tag wieder schlecht, und nachdem sie eh schon erkältet ist von den kalten Nächten in Uyuni, ist Montezumas Rache auch wieder zurück, diesmal kommt noch extreme Kurzatmigkeit hinzu, was wahrscheinlich von der Höhe (ca. 3700m) kommt. Da wir nicht weiter wissen, fahren wir wieder ins Krankenhaus, diesmal in die Privatklinik Clinica Alemana. Dort bekommt sie Sauerstoff, eine Infusion, und es wird Blut abgenommen. Vermutlich eine bakterielle Infektion, aber so genau weiß man das auch nicht. Sie wird vollgepumpt mit Medikamenten, neues Antibiotikum, Mittel gegen Parasiten etc. Die Behandlung kostet 130€ anstatt den 10€ in Sucre, wir hoffen das es hilft.

In einem weit entfernten Land auf der anderen Seite der Erde krank zu werden, macht einen schon manchmal hilflos, überfordert und zehrt vor allem an den Nerven, man muss damit natürlich immer rechnen, aber direkt zu Anfang damit 2x konfrontiert zu werden, ist bedrückend und überhaupt nicht schön. Um diesen Passus aber trotzdem etwas aufzulockern, der Direktor der Klinik heißt Dr. Casanovas 😉 in dessen Privatbüro wir durch gewisse Umstände auch noch landen und der Tina umsonst behandelt.

Wir verlängern unser Hostel um 4 weitere Nächte, Dienstag geht es Tina wieder einigermaßen gut und wir wollen nach Coroico reisen, in tiefere und wärmere Lagen (1700m), die hoffentlich auch zur Genesung beitragen. Aber Pustekuchen, es wird gestreikt, irgendwas wegen Kosten für Elektrizität, es gibt kein raus aus und kein rein nach La Paz, also bleiben wir einen weiteren Tag…

Verlängerung des Visums

Aber nicht schlimm, so können wir noch einen Amtsgang begehen, den wir eigentlich nicht vorhatten, aber durch die verlängerten Aufenthalte nun durchführen müssen: die Visumsverlängerung. Unser Touristenvisum ist nur 30 Tage gültig und läuft damit am Freitag aus. Im Reiseführer wird anstatt von Migracion von Migräne gesprochen und überhaupt sagen auch viele Reiseberichte lange Wartezeiten und Diskussionen voraus. Aber mal eine sehr positive Überraschung! Wir fahren mit dem Taxi zur Behörde, melden uns beim Eingang, sollen zu Schalter 11 gehen. Viele wartende Menschen tummeln sich in einem großen Raum, der Typ am Schalter 11 nimmt sich unsere Ausweise, haut 2 Stempel rein und sagt „Hasta luego“, Tina und ich schauen uns ungläubig an und fragen nochmal nach, ob das alles gewesen sei, ja, ist es. Das Ganze hat weniger als 1 Minute gedauert, schneller als jeder Behördengang in Deutschland ?

Mal ganz nebenbei: Was ist eigentlich selbstverständlich?

Durch die Geschichte mit den Krankenhäusern, die teilweise abenteuerlichen Fahrten mit Minibussen etc. frage ich mich: was ist eigentlich selbstverständlich? Ich nehme mir (mal wieder) vor mich in Deutschland über gewisse Sachen einfach nicht mehr aufzuregen oder zu beschweren. Wir wissen es alle und vergessen es trotzdem immer wieder, unser Standard in Deutschland ist einer der höchsten der Welt, aber es gibt trotzdem immer was zu meckern. Das Problem ist, dass in unserem alltäglichen Leben das immer in eine Selbstverständlichkeit übergeht und wir vergessen nach einiger Zeit wieder, wie gut es uns geht und regen uns dann über Kleinigkeiten auf. Typischer Fall, den jeder kennt ist, wenn man krank wird, erst dann, weiß und schätzt man, wie schön es ist, gesund zu sein. Man sollte sich eigentlich jeden Tag 3 mehr oder weniger selbstverständliche Dinge ins Bewusstsein rufen und für diese dankbar sein, das würde sicherlich gegen das Vergessen helfen.

Hier ein paar Beispiele von Selbstverständlichkeit:

  • Sauberes Leitungswasser (und sogar trinkbar, hier ok zum duschen, aber Zähne putzen nur mit gekauften Wasser; es gibt Gegenden in Bolivien, da darf man das Wasser auf keinen Fall trinken, es ist verseucht durch den vielen Abbau von Mineralien)
  • Klopapier ins Klo schmeißen (tolle Sache, hier immer in den Mülleimer)
  • Obst, Gemüse und Fleisch unbedenklich essen (und nicht immer kochen oder schälen)
  • Heizungen (tolle Erfindung, hat hier nur keiner, obwohl Gas so günstig ist; man muss zumindest in den höheren Lagen immer mit 3-4 Decken schlafen)
  • gute Straßen (ja, viele sind auch nicht so toll, gerade in Köln, und es gibt viele Baustellen, aber hier sind die teilweise gar nicht vorhanden und auf den Bürgersteigen muss man ständig aufpassen, wo man hin läuft, große Löcher oder abstehende Eisenstangen sind keine Seltenheit)

Ich werden mir auf jeden Fall vornehmen Selbstverständlichkeiten nicht zu vergessen, wenn ich wieder in good old Germany bin und falls doch, werde ich diesen Blogbeitrag lesen und mich erinnern, wie gut es uns doch geht 🙂

3 Kommentare
  1. Johannes G
    Johannes G sagte:

    Wahnsinn, man hatte sich schon etwas Sorgen gemacht, wegen der langen Abstinenz, offenbar nicht ganz zu Unrecht ??? zum Glück geht es Euch ja wieder gut und es gibt auch dort wo ihr seid wenigstens halbwegs vernünftige medizinische Versorgung, dass ist ja schon mal viel Wert. Ansonsten wie immer seeeehr schöne und beeindruckende Berichte aus einer anderen Welt, auch wenn es dieselbe ist ?
    Auch gut zu wissen, sind die anscheinend doch sehr brach liegenden Potentiale in diesen Ländern, es gibt also noch Entwicklungsmöglichkeiten!
    Weiterhin viel Spaß, tolle Eindrücke und vor allem anhaltende Gesundheit ab jetzt ✊???

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  2. Irmgard Stockhausen
    Irmgard Stockhausen sagte:

    Hi, ich habe eben schon mal geschrieben, aber dann war der Kommentar weg. So ein Mist, aber ich soll mich ja über Kleinigkeiten nicht aufregen. Wir lesen die Blogs immer wieder gerne, was wir gerade in unserem Bretagneurlaub getan haben. Liebe Grüße von hier zum anderen Ende der Welt. MaPa

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  3. Pa
    Pa sagte:

    Dein Fazit zu den Selbstverständlichkeiten in unseren Breitengraden ordnet die Verhältnisse ganz gut. Wir klagen schon auf einem hohen Niveau und schätzen unsere Insel der Glückseligen meist nicht hinreichend. Durch das ein oder andere Flüchtlingsschicksal relativiert sich das in letzter Zeit etwas (zumindest bei einigen deutschen Zeitgenossen).

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